Die Sagen von der Hummelburg

An der altberühmten und geschichtlich denkwürdigen Heerstraße Reinerz – Nachod liegen auf einem 730 m hohen kegelförmigen Berge die Ruinen der Hummelburg. Die Geschichte dieser Burg, deren Gründung auf das Jahr 900 zurückgeht, ist sehr bewegt. Auch die Sage hat sich ihrer bemächtigt.


Blick auf den Hummel
 

Die Zerstörung der Hummelburg

Ein früherer Besitzer der Hummelburg war ein gefürchteter Raubritter, der in Saus und Braus lebte. Das betrübte seine fromme Gemahlin. Sie bat ihn oft, sein wüstes und lasterhaftes Leben zu bessern. Allein ihr Bitten und Mahnen blieb nicht fruchtlos, sondern ärgerte den Ritter so sehr, dass er beschloss, seine Gattin zu ermorden. Als dies wirklich geschehen war, wurden auch die Kinder, die anfangs brav zu werden versprachen, mit in das Lasterleben des Vaters hineingezogen.

Dabei schwand der Reichtum des Ritters immer mehr und er wurde arm. Um aber sein gewohntes Leben fortführen zu können, überfiel er Kaufleute und Wanderer, die friedlich die Straße daherzogen und plünderte sie aus. Wer sich zu verteidigen wagte, fand keine Schonung.

Eines Tages fuhren drei schwerbeladene Wagen die Straße entlang. Kaum hatte man dieselben erblickt, als auch schon die raubgierige Horde von der Burg hinabstürmte. Die Kinder konnten das Öffnen der Kisten gar nicht erwarten, denn jedes war gierig, seinen Anteil an der Beute so bald wie möglich zu erhalten.

Aber, o Graus! Statt der erhofften Schätze steigen geharnischte Männer, wahre Riesen, aus den Kisten. Mit blitzenden Schwertern dringen sie auf die Burgbewohner ein. Diese versuchen zwar, sich zu verteidigen, jedoch vergebens! Die Riesen sind unverwundbar und jeder Streich prallt an ihren Panzern ab. Der Teufel hat sie gesandt, um den Burgherrn samt seiner Sippe in die Hölle zu holen.

Während des Kampfes erschüttert dumpfer Donner die Erde. Unter gewaltigem Krachen spaltet sich der Berg. Flammen schlagen heraus und verzehren die Burg mit all ihren Bewohnern. Nur die Trümmer eines Turmes bleiben als Warnungszeichen für raublustige Wegelagerer erhalten.

Nachts um die zwölfte Stunde ertönen oft unheimliche Laute. Ein Ritter erstürmt auf schnaubendem Rosse die Stätte der einst weithin gefürchteten Hummelburg.
 
 

Die Hummelfrau

Einst lebte in Nerbotin, einem kleinen Dörfchen in der Nähe der Hummelburg, ein armer, braver Holzmacher. Trotz allen Fleißes wollte die Not nicht weichen. Als er eines Abends ganz ermattet nach Hause kam, weinten die Kinder, denn sie hatten Hunger. Schluchzend erzählte seine Frau, dass ihnen der reiche Nachbar die Kleidung weggenommen hätte, da sie ihm für Getreide einen Gulden nicht bezahlen konnten. Zwar wurde diesmal durch einen anderen mitfühlenden Nachbarn geholfen; allein der Kummer um die Zukunft lastete schwer auf dem armen Holzmacher, so dass er nicht schlafen konnte. Er suchte also Zerstreuung und neuen Lebensmut in harter Arbeit. Die Mitternachtsstunde sah ihn schon fleißig hackend und sägend in der Nähe der Hummelburg.

Da knistert und rauscht es in seiner Nähe. Eine bleiche Frau mit aufgelöstem Haar, in langem, weißen Gewande, auf dem sich frische Blutspuren befinden, einen Dolch und einen Schlüsselbund in der Hand, tritt auf ihn zu.

"Fürchte Dich nicht, sondern erbarme Dich meiner!", ruft sie dem Erschrockenen zu. "Dort oben, wo jetzt noch die Trümmer des stolzen Schlosses stehen, ermordete ich mit diesem Dolche meinen Gemahl – und mit dem Schlüssel öffnete ich den Kerker meines Buhlen, um mich mit ihm zu verbinden. Durch ein Verbrechen wurde der neue Bund geschlossen, durch ein zweites Verbrechen gelöst: Die Hand dessen, für den ich zur Mörderin wurde, tötete mich. Zur Strafe wohne ich schon einhundert Jahre unter den Ruinen. Habe Erbarmen, erlöse mich!"

Der Holzfäller war mitleidsvoll bereit, der Bitte zu willfahren. Er fragte, was er zu tun hätte. Die Antwort lautete: "Sei morgen zur selben Stunde wieder an dieser Stelle! Ich werde Dir erscheinen, aber nicht wie heute, sondern in Gestalt einer feuerspeienden Schlange. Ich werde Dich umtoben, Dir aber nicht schaden; denn dazu habe ich keine Macht. Dann entreiße meinem Rachen den Schlüsselbund und töte mich mit diesem Dolche! Gelingt es Dir, so bin ich erlöst; sonst muss ich noch weitere einhundert Jahre leiden." Hierauf ließ die Frau den Dolch fallen und verschwand.

In der nächsten Nacht um die zwölfte Stunde war der Holzmacher an dem bezeichneten Orte. Den Dolch hielt er in der Hand. – Da braust und zischt und tobt es in seiner Nähe. Eine mächtige, feuersprühende Schlange windet sich heran. Furcht befällt ihn; aber der armen Büßerin gedenkend, wirft er sich rasch entschlossen dem Ungeheuer entgegen und stößt ihm den Dolch in den Rachen. Nochmals bäumt es sich auf, aber ein wuchtiger Hieb mit der Axt streckt es tot zu Boden. Kaum hat er mit starker Hand dem Tiere den Schlüsselbund entrissen, als eine Flamme aus der Schlange herausschlägt und sie vollständig verzehrt. Ein weißes Täubchen aber schwingt sich über den Trümmern des Hummelschlosses höher und höher zum Himmel empor. – Die Seele der Hummelfrau ist erlöst und geht zur Ruhe ein.

Da rollt und kracht es im Inneren des Berges; ein weiter Spalt öffnet sich und lässt einen Raum erblicken, der voll von Kisten und Kasten ist. Der erschrockene Holzhacker wagt es, einzutreten. Er öffnet mit den Schlüsseln die Kästen und nimmt sich von den darin liegenden Schätzen soviel heim, als ihm seine Kraft zu tragen gestattet.

Nun war seine Not zu Ende; er blickte sorgenfrei in die Zukunft.
 
 

Christnacht

Nanne, eine arme Witwe, hat ein einziges Kind: Wilhelm. Große Armut herrscht in der baufälligen Hütte. Das Kind ist krank. Hanne weiß, dass in der Christnacht die Schätze des Hummelberges frei liegen. Sie will an diesem Tage das schlafende Kind allein lassen. Es wacht auf. Die Mutter nimmt es mit. Der Berg öffnet sich. Hanne steigt hinab, legt ihr Kind zu Füßen der Hummelfrau, die traurig dasitzt, nieder und will die zusammengerafften Schätze bergen. Da schließt sich der Berg. Das Kind behält er. Hanne wird ob des Verlustes beinahe irrsinnig und wirft die errafften Schätze weg. Ihre Schwester pflegt sie.

Dir. Wilhelm Hofmann