Zur deutschen Besiedlung Böhmens

Josef Ludwig

Nach dem Abzug der Markomannen im Verlaufe des 6. Jahrhunderts wanderten zu seinem Ende hin heidnische slawische Stämme in Böhmen ein. Wahrscheinlich zurückgebliebene Reste der bislang germanischen Bevölkerung verschmolzen mit den nunmehrigen Bewohnern, ohne sich irgendeine Selbständigkeit zu erhalten.1

Im 9. und 10. Jahrhundert übernahmen die Przemysliden die Führung in Böhmen. Obwohl sich das Land zunächst in Abhängigkeit des ostfränkisch-deutschen, später Deutschen Reiches befand, blieb seine innere Unabhängigkeit bestehen. Mit Heinrich II. (König seit 1002, Kaiser seit 1014) zählten die böhmischen Herzöge zu den Reichsfürsten; die erbliche Königswürde erreichten sie 1198 mit Ottokar I.

Enge kirchliche Beziehungen bestanden zum Regensburger Bistum. Bereits am 1. Januar 845 erhielten hier vierzehn böhmische Große die Taufe.

Die Landnahme beschränkte sich vorläufig auf die ertragreichen inneren Landesteile. „Kaum die Hälfte von Grund und Boden hat die slawische Siedlung bis zum Ende des 12. Jahrhunderts in Besitz genommen. Noch meidet sie die minder fruchtbaren Gneisplateaus wie auch die Quader­sandsteingebirge des nördlichen Böhmens fast völlig. Unbesiedelt bleiben die Grenz­höhen, Riesengebirge, Erzgebirge, Böhmerwald wie auch die böhmisch-mährische Höhe.“2

Die deutsche Kolonisation

Eine Welle der Fruchtbarkeit war losge­bro­chen und es war eng geworden in Deutschland. Eine große Anzahl Menschen suchte nach passendem Erwerb und viele nachgeborene Söhne strebten nach eigenem Grund und Boden, anstatt dem älteren Bruder als Knecht zu dienen.

Der Zuzug Deutscher ist bereits für das 11. Jahrhundert verbürgt. Es sind das Adlige, Händler3 

und Geistliche sowie die häufig nach Böhmen verheirateten Prinzessinnen mit ihrem Gefolge. Die in einem Prager Vorort angesiedelte deutsche Kolonie erhielt schon durch Wratislaw II. (1061-1092) das Recht, ihr eigenes Forum unter einem selbstgewählten Richter zu haben. Unter Herzog Sobieslav II. (1173-1178) wurde der Prager Kaufmannssiedlung jener berühmte Freiheitsbrief von 1176 übergeben, der im Kern das Wesen der deutschen Zuwanderung und seiner Rechtstellung enthält (Auszug):

1. Ich, Sobieslaus, Herzog der Böhmen, tue allen Gegenwärtigen und Zukünftigem kund, dass ich in meine Gnade und meinen Schutz nehme die Deutschen, die in der Prager Vorburg wohnen, und es beliebt mir, dass diese Deutschen, so wie sie von den Böhmen durch die Volkszugehörigkeit verschieden sind, auch von den Böhmen und ihrem Gesetz oder ihrer Gewohnheit geschieden sein sollen­.

2. Ich räume also diesen Deutschen ein, nach dem Gesetz und Rechte der Deutschen zu leben, das sie seit der Zeit meines Großvaters, des Königs Wratis­laus, gehabt haben.

3. Einen Pfarrer, den sie nach ihrem Belieben für ihre Kirche auswählen mögen, räume ich ihnen ein und einen Richter. ...

6. Wenn der Herzog außerhalb Böhmens auf Heerfahrt ist, dann sollen die Deutschen Prag bewachen mit zwölf Schilden bei jedem Tore.

13. Und ich räume den Deutschen auch ein, dass sie frei seien von Gästen, Fremden und Ankömmlingen. ”Wisst, dass die Deutschen freie Leute sind!“

Unter den Przemysliden Ottokar I. und Wenzel I., besonders aber Ottokar II. (1253-1278) erreichte die deutsche Zuwanderung ihren Höhepunkt. Wohl wurde mit ihr das Ziel verfolgt, landwirtschaftlich nutzbare Fläche der Bearbeitung zuzuführen, vor allem aber, die Wirtschaft als Ganzes zu entwickeln und ihr Niveau zu erhöhen. Denn „... diese ungemeine Förderung des Städtewesens und der Kolonisation durch Deutsche erklärt sich zunächst aus Ottokars Bestreben, die Industrie und den Verkehr in seinem Lande zu heben.4 Welchen Vorteil die vermehrte gewerbfleißige Bevölkerung dem Lande bringe, war ihm nicht entgangen; ... und dass die Deutschen noch industrieöser waren als die einge­bo­ren­en Böhmen, bewies ihm schon der rasche Aufschwung des böhmischen Bergwesens, dem er vorzüglich seine Schätze und seine Macht verdankte, seitdem das uralte Bergwerk von Iglau durch Deutsche neu gehoben und Kuttenberg entdeckt worden war. Doch sein Hauptzweck bei Gründung des Bürgerstandes ging dahin, sich in ihm eine Stütze gegen die, dem königlichen Ansehen bereits gefährlich gewordene Macht der Barone zu bereiten; ...“5

Die Anlage der Siedlung erfolgte nach deutschem Recht, das ein erbliches Eigentum vorsah.6 

Dafür galt folgendes Schema, das sich allerdings regional und zeitlich unterschied: Der Grundherr schloss mit einem als „loca­tor“ bezeichneten Unternehmer - etwa dem Führer eines Kolonistenzuges - einen Vertrag zum Aufbau eines Dorfes: Die Flur wurde zugeteilt, ihre Grenzen abgesteckt, Acker, Gemeindeweide und Wald ausgewiesen. Dem einzelnen Siedler wurde der Boden in Hufen7 übergeben. An den locator gingen zwei bis drei, der Pfarrer erhielt zwei und der sogenannte Ganzlehner eine (weitere Unterteilungen waren üblich). Die Bauerntrecks (mit Saatgut, Vieh und Ackergeräten) zogen also in ein bereits abgesprochenes Gebiet.

Bei der Übernahme war die „Anleite", eine meist in Geld zu entrichtende Ablösung, an den Grundherrn zu entrichten.

Die nunmehrigen Besitzer waren von der Gesamtbürgschaft8 und Staatsfron befreit. Der ehemalige locator besaß als Schulze (Erbrichter) die niedere Gerichtsbarkeit, hatte das Dorfgericht zu leiten (die Schöffen bestimmten die Dörfler), Kosten einzutreiben und Urteile zu vollstrecken. Für gewöhnlich betrieb er die Schenke (Kretscham), die Mühle und meist auch die Schmiede. Im Krieg war er gegenüber dem Grundherrn zum Dienst als Reitersoldat verpflichtet.

Der Vorgang zur Gründung einer Stadt erfolgte in ähnlicher Weise, nur dass es sich bei den Siedlern vornehmlich um Hand­werker handelte. Abweichend zum Dorf brauchte es hier das Rechteck des Marktplatzes – den Ring – in dessen vier Ecken die Hauptstraßen einzumünden hatten. Auch für Rathaus und Kirche war ein bestimmter Platz zuzuweisen. Eine Besonderheit stellte die Befestigung dar, für deren Aufführung genaue Bestimmungen zu beachten waren.

Für die umliegenden Dörfer stellte die Stadt das Zentrum des gesellschaftlichen Lebens dar. In ihr vollzog sich vor allem der Warenaustausch. Meist war sie verwaltungsmäßiger und juristischer Mittelpunkt sowie Ort des Kirchen- und Schulbesuchs. Ihre wirtschaftlichen Interessen sicherte sie sich vor allem dadurch, dass innerhalb einer Bannmeile kein Handwerk ausgeübt oder Bier gebraut werden durfte. In aller Regel besaß die Stadt auch bestimmte Flächen des umliegenden Gebietes, so dass ihre Bewohner einen Teil der benötigten Nahrungsmittel selbst erzeugten.

In der bayerischen Form fehlt die Person des Unternehmers. Dessen Aufgaben übernahmen – in abgewandelter Form – vielfach die Klöster, Vertreter des Hochadels oder auch unmittelbar Gruppen von Bauern.9 Im Unterschied zum deutschen Straßendorf Nord- und Ostböhmens gewannen deren Ansiedlungen eher die Form eines Rundlings oder charakterisierten sich durch weit auseinander liegende Einzelgehöfte.

Besonders schwierig erwies sich die Kolonisation in Gebirgsgegenden – gerade diese aber stellten die hauptsächlichsten Siedlungsgebiete: Das Land war von Wäldern heute unvorstellbarer Ausdehnung und Wildnis bedeckt, menschenleer, faktisch ohne Weg und Steg. Höhe und Steilheit der Berge ließen Ackerbau kaum zu. Nur eine dünne Schicht fruchtbarer Erde bedeckte den Boden und schon stießen Hacke und Pflug auf Fels – ein nicht enden wollendes Steinelesen war die Folge. Auch das Klima zeigte sich feindlich mit langen schneereichen Wintern, häufigen Überschwemmungen und anderen spontanen Erscheinungen einer ungebändigten Natur. Die durchschnittliche Jahrestemperatur betrug lediglich 3 bis 6 Grad Celsius. Die weitgehend reinen Nadelwälder schlossen die im Mittelalter übliche Waldmast beinahe gänzlich aus. Fruchtbäume wie Eiche, Buche oder Wildobst fehlten fast völlig. Eine Erleichterung brachte lediglich der Raubbau an Wald durch die sich vielerorts entwickelnden Glashütten. Die so abgeholzten Flächen wurden anschließend – soweit möglich – unter den Pflug genommen.

In einer dieser Landschaften, dem Böhmerwald, wirkte der selige Gunther, der ”Eremit“: Als sein Geburtsjahr wird 955 angenommen. Er entstammte reichbegütertem thüringischen Hochadel; vermutlich war er ein Vorfahr des schwarzburgischen Fürstenhauses. Gunthers Erziehung richtete sich, wie für Abkömmlinge seines Standes üblich, auf den Waffendienst. Die Sprache seiner slawischen Nachbarn soll er wie die eigene beherrscht und über hervorragende diplomatische Talente verfügt haben.

Das von tiefer Mystik erfüllte 10. Jahrhundert mit der Erwartung der Wiederkunft des Herrn und dem Zeitenende ließen den einflussreichen Feudalherrn an seiner bisherigen ungebundenen Lebensführung zweifeln und einen Irrweg darin erkennen. Daraus schlussfolgernd trat er Ende 1005 oder Anfang 1006 in das Benediktinerkloster Niederaltaich ein.10

Im Jahre 1012 gründet Gunther das Kloster Rinchnach, einen für lange Zeit geistigen und kulturellen Mittelpunkt des Böhmerwaldes. Von ihm sagte man sogar, es habe für die Reisenden dieser Gegend die gleiche Bedeutung gehabt, wie später das Hospiz auf dem St. Gotthard für die Alpen.11 Da die Zahl der Priester nicht ausreichte, teilten sich die Abtei Bresnov und das Kloster Rinchnach in die Seelsorge der böhmischen Grenzbezirke.

Eine Hauptsorge Gunthers blieb die Bodenkultur – einschließlich des Wegebaus – sowie die bäuerliche Bearbeitung. Großzügige Landschenkungen seitens der Kaiser Heinrich II. und Konrad II. versetzten ihn in die Lage, das Land kostenlos an die Siedler weiterzugeben.12

Immer wieder aber wurde Gunther aus seiner Zurückgezogenheit herausgerissen. Herkunft, weitreichende Beziehungen, Erfahrung und Verhandlungsgeschick ließen ihn über die Grenzen hinaus zum gefragten Berater deutscher, böhmischer und ungarischer Herrscher werden. Mit Kaiser Heinrich II. stand er in verwandtschaftlichen Beziehungen und eine Jugendfreundschaft verband ihn mit dem böhmischen Herzog Udalrich. Große Verdienste erwarb er sich bei der Wiederherstellung des Friedens im Krieg 1040/1041 zwischen Kaiser Heinrich III. und Herzog Bretislav I., stets bemüht, persönliche und nationale Gegensätze zu versöhnen.13

Gunther starb am 9. Oktober 1045 im Alter von mehr als neunzig Jahren. Sein selbstloses und schwieriges Werk ließ ihn zum Pionier bei der Erschließung des Hohen Böhmerwaldes werden. Bis in die Regierungszeit Kaiser Karls IV. aber dauerte es, bis sich auch dessen letzter Teil friedlicher Arbeit beugte.

Die Beisetzung Gunthers erfolgte in der Benediktinerabtei Bresnov, einer Gründung des heiligen Adalbert.14 Bald darauf folgten ihr lebhafte Wallfahrten zum Grab und seinen Wirkungsstätten.

Franz Palacky beklagte die erfolgreiche Kolonisation des Böhmerwaldes, wobei seine Worte wohl generell für alle deutsch besiedelten Gebiete Böhmens gelten sollten: „... Fleißige deutsche Bauern, kühne Jäger und Abenteurer, selbst Eremiten und Mönche, rückten jedoch bei der Unmacht und Nachlässigkeit der böhmischen Herzöge immer weiter darin vor, rodeten die Wälder aus, bauten darin Felder und Häuser, ja Dörfer und Burgen, und begaben sich damit unter den Schutz der deutschen Kaiser, der Herzöge von Bayern und der ostfränkischen Markgrafen, welche auch nicht unterließen, sie in diesen Erwerbungen mit Brief und Schwert zu schirmen.“15

Im Gegensatz zu der aktiven deutschen Siedlungspolitik nutzten die böhmischen Herrscher ihre Waldungen bis in das 14. Jahrhundert hinein als Militärgrenze und ließen sie an den Einfallstoren sichern. Im Böhmerwald etwa erfolgte ihre Bewachung durch die berühmten Choden, privilegierte Bauern, deren Dörfer rings um Taus (Do­mazlice) angelegt waren. Ihre Aufgabe bestand vor allem darin, an den Grenzen zu patrouillieren und unbefugte Rodungen zu verhindern. Die hörige Bevölkerung wiederum war im Kriegsfall verpflichtet, den Wald zu verhauen und unpassierbar zu machen. Im Böhmerwald fand diese Methode in dem bereits genannten Krieg von 1040/1041 breite Anwendung und bildete eine der Ursachen für die Niederlage des Kaisers während seiner Anfangsperiode. Beispiele dafür sind auch aus dem Riesengebirge bekannt.

Während bewaffneter Auseinandersetzungen erwies sich dieses System der Absperrung als wirksam. Bei der Besiedlung jedoch geriet es den Tschechen – trotz günstigerer Voraussetzungen – zum Nachteil und brachte sie ins Hintertreffen. Der deutsche Vorsprung ließ sich nicht mehr einholen­.

Die Rückschläge

Am 28. September 93616 wurde Herzog Wenzel durch seinen Bruder (und Nachfolger) Boleslav in Altbunzlau ermordet. Die Beweggründe waren heidnisch-nationaler Art und gedacht, die Christianisierung des Landes sowie die Begünstigung des Anschlusses Böhmens an das Deutsche Reich zu unterbrechen. Der Tat folgte die Vertreibung der deutschen Priester, eine allgemeine Konfrontation gegenüber Kaiser Otto I. sowie die Unterdrückung der Gefolgsleute des Toten. Aber noch während der Regierungszeit Boleslavs I. (des Grausamen) gewann der Ermordete den Ruf eines Märtyrers. Sein Ansehen stieg beständig, er wurde zum Schutzpatron Böhmens und zubenannt der Heilige.

Häufig wird die Meinung vertreten, bereits unter dem zwiespältigen Herzog Spythinev II. (1055-1061) habe eine allgemeine Vertreibung der Deutschen stattgefunden. Ein Beweis dafür steht jedoch aus. Abgesehen davon, dass sowohl die Mutter des Herrschers (Judith von Schweinfurth) wie seine Gemahlin (Ida von Wettin) Deutsche waren, scheint diese Ansicht auch deshalb unglaubwürdig, da Kaiser Heinrich III. bald nach dessen Thronbesteigung die Belehnung mit Böhmen vornahm. Auch Palacky zweifelte an der Untat: „... Wohl hasste er die Deutschen, bei denen er einst Kränkungen erfahren, und mag daher auch zur Gewalt gelangt, manche derselben des Landes verwiesen haben ... Doch ist es durch Urkunden und alte Zeugnisse erweislich, dass Deutsche jedes Standes unter seiner Regierung nach wie vor in Böhmen lebten und den Schutz der Gesetze genossen.“17

Ungemein schwer aber hatte die deutsche Bevölkerung unter den jahrzehntelangen hussitischen Unruhen und Kriegen zu leiden – einem Teil brachten sie den Tod, andere wieder flüchteten, alles zurücklassend. Ihre verbrieften Rechte gingen verloren. Eine Reihe ursprünglich deutscher Städte im Innern des Landes und an der Sprachgrenze war tschechisch geworden. Andere, wie Kaaden, Komotau, Aussig, Trautenau und auch die meisten Klöster im deutschen Siedlungsgebiet waren niedergebrannt oder gebrandschatzt worden. Die Sprache der landesfürstlichen Organe wie auch des Landtages war nunmehr tschechisch. An einigen Stellen wurde das deutsche Sprachgebiet zurückgedrängt.

Unter den Folgen des Dreißigjährigen Krieges hatte Böhmen, wie das Habsburgerreich insgesamt, unterschiedlich zu tragen. Das Herzogtum Friedland etwa blieb bis zum Tode Wallensteins (1634) fast völlig verschont, während die inneren Gebiete besonders betroffen wurden. Die Menschenver­luste waren entsetzlich hoch. Von zwei Millionen Einwohnern (ohne Nebenländer) zu Beginn des Krieges lebten an seinem Ende nur noch 600.000 im Land.18 Schätzungsweise 150.000 bis 200.000 Personen, vor allem deutschsprachige Lutheraner aus den Randgebieten, waren aus konfessionellen Gründen vertrieben worden oder flüchteten.

Ein spürbarer Arbeitskräftemangel führte in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts zu einem (gewünschten) Zuzug aus den umliegenden deutschen Territorien. Der Anteil der Deutschen wuchs damit allmählich an und erreichte um 1700 in Böhmen und Mähren bereits über ein Fünftel, für die böhmischen Kronländer insgesamt (dank Schlesien) sogar mehr als zwei Fünftel der Bevölkerung.19

Mit dem 20. Jahrhundert ist der höchste Blutzoll der Sudetendeutschen seit der Kolonisation verbunden. Schon der Erste Weltkrieg forderte bis dahin ungekannte Opfer, weit mehr, als sie der vielfach antihabsburgisch eingestellte tschechische Bevölkerungsteil erbrachte.20 

Noch mehr Schmerzen bereitete nur 20 Jahre später der Hitlerkrieg; aus unzähligen Wunden blutete unsere Volksgruppe. An seinem Ende aber wurde sie – ohne jeden Hoffnungsschimmer als Begleitung – in die Tragödie der Vertreibung gestürzt, in der sie faktisch zum Erlöschen kam.

Schlussbemerkung

Im 13. Jahrhundert erreichte Deutschland einen Höhepunkt seiner mittelalterlichen Kultur, den es in der Kolonisationszeit freigebig an seinen böhmischen Nachbarn weitergab. Der einzelne Siedler trug dabei eine gewaltige Last, ohne äußeren Glanz, gleich ob mit Spaten, Axt oder Schlägel, ehrenvoll und großartig zugleich.

Dazu wussten in schon durch Volkstumskämpfe aufgewühlten Jahren zwei Männer von ausgeprägt nationalem Denken Grundsätzliches zu sagen. Lassen wir zunächst Franz Palacky, den Vater der tschechischen Historiographie, das Wort nehmen: „Die Deutschen wurden von den Königen wegen ihrer Betriebsamkeit ins Land aufgenommen. Sie entsprachen den Hoffnungen, die man auf sie setzte. Sie waren dem Lande höchst nützlich, besonders im Bergbau, im Roden und Urbarmachen von Wäldern an den Landesgrenzen. Den Deutschen verdankt man die hohe Blüte des Silberbergbaus, welcher Macht und Wohlstand des Landes vermehrte. Die deutschen Ansiedler gaben Anlass zur Bauernbefreiung, die seit Ottokar II. einsetzte. Das sind die Lichtseiten und sie sprechen laut genug für sich.“21

Der damalige Außenminister der CSR, Professor Kamil Krofta, drückte sich 1927 ähnlich aus: „Eine dichte und dauernde Einwanderung der Deutschen in Böhmen setzte erst gegen Ende des 12. Jahrhunderts ein. Die Ursachen dieser Einwanderung waren keineswegs politischer, sondern rein wirtschaftlicher Natur. Sie wurden eifrig von den böhmischen Königen gefördert, die aus der Arbeit dieser Kolonisten einen beträchtlichen wirtschaftlichen Nutzen erhofften. Und in der Tat übte die deutsche Kolonisation einen großen und im Ganzen wohltuenden Einfluss auf die Entwicklung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in Böhmen aus...“22

1 Die Kontinuitätstheorie des Landesarchivars Mährens, Prof. Berthold Bretholz (1862-1936), von einer ununterbrochenen Fortdauer deutscher Besiedlung seit der Germanenzeit wird im Wesentlichen sowohl von deutschen wie tschechischen Fachwissenschaftlern abgelehnt.

2 Wilhelm Wostry: "Das Kolonisationsproblem", Selbstverlag des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen, Prag 1922, S. 119.

Der Handel befand sich vornehmlich in den Händen von Ausländern – Juden, Italienern, Griechen und Deutschen.

Die unter Ottokar II. vorgenommene Erhebung von Hohenmauth, Kolin, Melnik, Pilsen, Brüx, Kaaden, Budweis und zahlreichen anderen Orten zu Städten in dem Zuzug deutscher Bürger geschuldet. Das deutsche Stadt- und Zunftrecht wurde übernommen. Eine besonders starke Ansiedlung während dieser Zeitperiode ist für die Kreise Elbogen, Trautenau, Glatz sowie das mährische Gesenke nachgewiesen.

Franz Palacky: "Geschichte von Böhmen", 2. B., 1. Abt., S. 158 (Neudruck der Ausgabe 1844-1867 bei Otto Zeller, Osnabrück 1968).

Nach dem Rechtshistoriker Wilhelm Weizsäcker (1886-1961) als ein ”vererbliches und unveräußerliches dingliches Naturrecht“ definiert, das „seinem Inhalt nach dem Eigentum nahe kam."

Die Hufe (Hube) stellte keine feste Maßeinheit dar; im Frühmittelalter entsprachen ihr etwa 7-10 ha, bei Rodungsland sogar das Doppelte. Das Hufenmaß betrug gewöhnlich 60-70 Joch.

8 Gemeint ist hier die im deutschen Recht unbekannte Haftung einer Gruppe oder eines Gemeinwesens zur Sühnezahlung bei einem – vornehmlich unaufgeklärten – Delikt.

Dafür bekannt sind die Klöster Hohenfurth (gemeinsam mit dem oberösterreichischen Kloster Wilhering) und Goldenkron (gemeinsam mit dem niederösterreichischen Kloster Heiligenkreuz) sowie die Grafen von Bogen.

10 Als Ausdruck der Gefühlslage beginnen manche Urkunden jener Tage mit den Worten: „Imminente   mundi periculo“ (da das Ende der Welt herannaht).

11 Dudik: "Mährens allgemeine Geschichte", S. 162 f.

12 Die Vergabe großer Flurstücke konnte auch deshalb erfolgen, da der Urwald kein Werteobjekt,  sondern eher ein Hindernis für Verkehr und Ansiedlung darstellte.

13 Bretislav wurde als Sohn Udalrichs um 1005 geboren. Der Überlieferung nach gilt Gunther als dessen Taufpate.

14 Durch Herzog Bretislav wurden im Jahre 1030 in Gnesen die Gebeine des Heiligen ausgehoben  und nach Prag überführt. Daraus ergab sich eine der Ursachen des Krieges 1040/1041.

15 Franz Palacky, aaO, 1. B., S. 267.

16 Franz Palacky, aaO, 1. B., S. 208.

17 Franz Palacky, aaO, 1. B., S. 292/293.

18 Emil Franzel: "Sudetendeutsche Geschichte", Adam Kraft Verlag 1990, S. 150.

19 Jörg K. Hoensch: "Geschichte Böhmens", Verlag C. H. Beck, München 1997, S. 235.

20 An unwiederbringlichen Verlusten entfielen auf je 1.000 Einwohner folgender Gebiete: deutsch-böhmische – 35; deutsch-mährische – 44; tschechische – 22. Quelle: Winkler:"Die Totenverluste der Österreichisch-ungarischen Monarchie nach Nationalitäten", Wien 1919.

21 Zitiert nach Hans Muggenthaler: "Die Besiedlung des Böhmerwaldes", Ostbairische Heimatforschung Passau 10.

22 Kamil Krofta, die Deutschen in der Tschechoslowakei in: "Dokumente zur Sudetendeutschen Frage 1916-1967", herausgegeben durch die Ackermann-Gemeinde, München 1967, S. 101.

 

Beitrag aus: "Riesengebirgs-Buchkalender 2003" mit Genehmigung des Preußler-Verlags, Nürnberg