Die Czerny-Mühle – mein Elternhaus in Gießhübel

In meiner Erinnerung an die frühen Kindertage erscheint die Czerny-Mühle als riesengroßes Gebäude mit vielen geheimnisvollen Räumen und Treppen und Kammern; darüber ein gespenstisch verwinkelter Dachboden, der sich über beide oberen Stockwerke ausdehnte, Gelegenheit zum Rumstöbern ohne Ende.

Die „Mühlstube“, in der es meist rumorte und rüttelte und klapperte, war das Herz des Hauses. Hier, wo die Roggenernte der Dorfbauern gemahlen wurde, lag immer ein feiner Mehlstaub und Mehlgeruch in der Luft.

Die Kraft für die Mahlwerke kam aus der danebenliegenden „Radstube“. Mehrere gewaltige Zahnräder auf der verlängerten Achse des Wasserrades übertrugen dessen Energie auf die Mühlenmaschinerie.

Das Wasserrad setzte aber auch einen starken Dynamo in Gang.

Er lieferte nicht nur den Strom für die Beleuchtung im Haus und für den Betrieb der Webstühle und anderer Gerätschaften der Weberei im Obergeschoss. Er sorgte auch für das Licht in mehreren Nachbarhäusern, in einer Zeit, als es in Gießhübel noch keine allgemeine Stromversorgung gab.

Wie auf diese Weise auch unsere Dreschmaschine in der abseits stehenden Scheune funktionierte, war für mich lange eine Rätsel.

Spätabends wurde das Wasserrad stillgelegt. Nach eiskalten Winternächten musste das manchmal eingefrorene Rad im Schein von Petroleumlampen mühsam mit Beilhieben vom Eispanzer befreit werden, ehe es wieder Strom und Licht liefern konnte.

Eine Bäckerei und ein Kaufladen, die sich früher ebenfalls im Haus befanden, waren in meiner Kindheit schon verwaist. Aber die alte Backstube und der Raum zwischen den verstaubten Ladenregalen waren herrliche Spiel- und Versteckplätze.

Der große Backofen selbst hatte noch nicht ausgedient. In ihm entstanden am Wochenende der Mohnkuchen und das Striezelgebäck für den Eigenbedarf der Familie.

In der Wohnstube sorgte ein schöner Kachelofen mit Ofenbank für Gemütlichkeit.

Kam ich im Winter verspätet und verfroren aus der Schule, wartete im Warmhaltefach meist Mutters köstlicher Milchreis mit Zucker und Zimt auf brauner Butter. Er ist für mich eine Delikatesse mit höchstem Wohlgeschmack geblieben.

Der Esstisch war von einer Sitzbank umrahmt, die sich bis ans Ende der fast zehn Meter langen Fensterseite fortsetzte. Wie groß diese Bauernstube war, bekam ich immer schmerzhaft zu spüren, wenn ich zur wöchentlichen Fußbodenwäsche eingeteilt war. Auf den Knien rutschend, mussten die Holzdielen Stück für Stück mit Seifenwasser und Wurzelbürste geschrubbt werden. Diese einzige ungeliebte Verrichtung gehörte manchmal zur Kinderarbeit in Haus und Hof und auf dem Feld, in die ich schon früh eingespannt wurde. Geschadet hat sie mir nicht.

In einer Eckvitrine wollten Bilder, Kreuze, Leuchter und ein Kelch aus Jerusalem ehrfürchtig betrachtet werden: Zeugnisse einer Reise meines Großvaters Josef Czerny im Jahre 1900 ins Heilige Land. Er war angeblich der erste Palästina-Pilger aus unserem Ort. An ihn und seine wochenlange strapaziöse Tour zu Wasser und zu Lande musste ich 60 Jahre später denken, als ich auf bequemem Flug seinen Spuren folgte.

Im Hausflur plätscherte ständig Wasser aus einer nahen Quelle in einen steinernen Trog. Daraus wurde auch für das liebe Vieh im angrenzenden Stall geschöpft, für zwei Kühe und einen Ochsen, dem Helfer bei schwerer Feldarbeit. Dazu gesellten sich ein oder zwei Kälbchen, zwei Ziegen und die Bewohner des Schweinekobens. Das Hühnervolk erfreute sich eines unbegrenzten Auslaufs im Freien. Seine Eier versteckte es gern im weitläufigen Heuboden. Bei den Suchaktionen gehörte die Entdeckung eines Nestes mit 15 Eiern zu den Erfolgserlebnissen meiner frühen Jahre.

Franz Czerny (geb.1924)