Spuren

Brigitte Siepmann

Damals, in meinem Gießhübler Jahr, besaß ich ein einziges Paar hoher, brauner Schuhe. Knöchelumspannend das Leder, mit solider Schnürung, unisono für Buben und Mädchen, waren sie recht beschaffen für das gebirgige Kleinstädtchen und alle Wetterlagen. Hätte ich jedoch etwas wünschen dürfen, dann sicher Halbschuhe für Mädchen. Aber im letzten Kriegsjahr waren Wünsche Gedankenverschwendung und eigentlich ohne Erinnerungswert; wären da nicht eines Tages im kleinen Fenster des Schuhmachers am Ringplatz zwischen Lederresten und Absatzflecken ein Paar Mädchenschuhe gestanden: Blaugrau und noch dazu in „Halb."

Mein Entzücken war groß und es brauchte weder Scheinwerfer noch zwingendes Spotlight, mir das samtene Blau mit fein säuberlich aufgesteppter, grauer Applikation nahezubringen. Schöner und begehrlicher schienen sie mir als die goldenen Schuhe jenes Aschenputtels in meinem Märchenbuch, in dem ich gerade selbst lesen konnte. Mutter, die um meine Wünsche wußte, bevor ich sie noch äußerte, verstand auch diesmal. Aber - wie die „goldenen“ Schuhe im Märchen nicht an jeden Fuß passen, paßte ich nicht in die blaugrauen.

Ich lief weiter in meinen hohen Braunen durch Gießhübel; kam mit ihnen durch Sommer und Winter, ins benachbarte Hummelstädtchen (Hummelstadt/Lewin), nach Bad Reinerz und durchstreifte die nahen Wälder. Sie trugen mich nach der Ausweisung über die Neisse und die Oder, von Berlin nach Havelberg und endlich nach sieben Monaten nach Hause in die zerbombte westf. Großstadt. Doch da hatten sie bereits vorn ein Loch für den großen Zeh.

Ich trug die hohen Braunen auch noch 1947 als ihr Oberleder längst auf Holzsohlen genagelt war.
Die blaugrauen Gießhübler Schuhe aber liefen mir noch lange hinterdrein; Mutter hatte sie vorsorglich für mein fünfjähriges Schwesterchen gekauft.