Die zwei Weihnachtskrippen in der Czerny-Mühle

Eine wirkliche Sehenswürdigkeit meines Elternhauses war unser „Bethlehem“: Zwei ganz unterschiedliche Weihnachtskrippen, jede etwa drei Meter lang und in knapp zwei Metern Höhe in der Wohnstube über Eck gebaut.

Ich erinnere mich an viele Besucher in der Weihnachtszeit. Kinder wie ich durften auf kleinen Leitern das biblische Geschehen ganz nahe bestaunen.

Die eine Krippe zeigte die Heilige Familie mit Ochs und Esel, mit Engeln und vom Dreikönigstag an auch mit den Weisen aus dem Morgenland samt Hofstaat, alle Figuren schön holzgeschnitzt, etwa 20 cm hoch und farbenfroh bemalt; ebenso die Hirtenschar, deren Schafe auf Hügeln aus echtem Moos weiden konnten. Der Vater hatte es rechtzeitig vor Wintereinbruch aus dem Wald geholt.

Glühlampen im Stall, im Stern darüber, im Hirtenhaus und unterm Hirtenfeuer wärmten die kindliche Phantasie.

Der Aufbau und die Wiedersehensfreude beim Auspacken der vertraut gewordenen Figuren dauerte einen ganzen Tag.

Bei der anderen Krippe wurde die Weihnachtsgeschichte richtig lebendig. Sie war fest installiert hinter einem Vorhang, der sich nur zum Fest öffnete.

Die Figuren waren hier kleiner, die Schnitzkunst einfacher und die Farben ein bisschen angegraut. Aber sie standen nicht still. Alles bewegte sich. In meinen großen Kinderaugen ein wahres Wunderwerk, geschaffen von meinem Großvater, einem ideenreichen und begnadeten Tüftler.

Was gab es da alles zu sehen! Im Vordergrund kamen von rechts Hirten und allerlei Volk, groß und klein, aus Bethlehem mit Geschenken zum göttlichen Kind. Ein endloser Zug in lockerem Gänsemarsch, gezogen von einem unsichtbaren Laufband.

Ebenso erschienen von links die Heiligen Drei Könige mit Elefanten, Kamelen und reichlich Fußvolk. Auch dieser Zug verschwand nach dem Defilee hinter dem Stall, um alsbald am Rande wieder aufzutauchen zur Fortsetzung der pausenlosen Prozession.

Dahinter die Stadt, wo sich auf einer Drehscheibe mehrere Tanzpärchen wiegten.

Auch auf dem Hirtenfeld war allerhand los:

Eine Frau am Brunnen kurbelte einen Wassereimer hoch, der danach wieder in die Tiefe fiel.

Zwei Männer sägten unermüdlich an einem Baumstamm.

Das Schönste aber war der Engel, der einen schlafenden Hirten weckte. Von einem Drahtbügel geführt, schwebte er hernieder und berührte den Mann. Dieser richtete sich auf, hob die rechte Hand über die Augen, sah den Himmelsboten wieder entschwinden und kehrte danach zur Schlafstellung zurück.

Gelenkt wurde alles aus dem Untergrund durch einen ausgeklügelten Mechanismus aus kleinen Zahnrädern und Treibriemen. Der Antrieb kam über eine lange Kurbelstange aus dem Mühlenbereich.

Diese Konstruktion, die sich mein erfinderischer Großvater ausgedacht hatte, war meines Wissens ohne Vorbild und ohne Nachahmung.

Vielleicht würde eine solche Weihnachtsdarstellung heute eher als Kitsch denn als Volkskunst angesehen. Für mich war sie nicht nur in Kindertagen ein Werk von wundersamer Art.

Beide Krippen sind ein Jahr nach der Vertreibung vernichtet worden:

1947 als die Czerny-Mühle aus mir unbekannter Ursache niederbrannte.

Franz Czerny ( geb.1924)