Ein denkwürdiger Tag - Altareinweihung 1990

Ilse Stonjek

Zu den vielen historischen Ereignissen dieses Jahres gehört sicher auch der 6. Oktober 1990, jedenfalls für Gießhübel im Adlergebirge. Der äußere Anlaß war nicht so einmalig: Die Segnung des renovierten Altares der Pfarrkirche St. Maria Magdalena. Altäre wurden im Laufe der Geschichte schon viele renoviert und wieder für den Gottesdienst geweiht. Für Gießhübel war dies der Anlaß für ein wohl einmaliges Fest, mit langer Vorbereitung – und sicher ein Meilenstein in eine Zukunft mit einem neuen Miteinander.


 Der renovierte Altar
in der Gießhübler Kirche (1994)

Pfarrer Jaroslav Mikes, der in Hradec wohnt und für Hradek und Gießhübel zuständig ist, hatte den Bischof gebeten, an diesem Tag nach Gießhübel zu kommen. Nach über 30 Jahren ohne Bischof hat das Bistum Königgrätz seit Februar 1990 wieder einen Bischof. Es ist Diözesanbischof Karel Otcenasek, der geheim geweiht wurde, danach 12 Jahre im Gefängnis verbrachte, dann viele Jahre als Heizer in Opotcno arbeitete und seit 1968 bei Aussig, also nicht in seinem Bistum, als Pfarrer tätig sein durfte.
Der Bischof hatte die Einladung nach Gießhübel angenommen, so daß erstmals nach über 50 Jahren *) wieder ein Bischof nach Gießhübel kam. Pfarrer Mikes hatte aber noch mehr getan. Er hatte - mit gedruckten Einladungen in deutscher Sprache – alle Gießhübler, die in Deutschland leben, zu diesem Tag nach Gießhübel eingeladen. Zehn Teilnehmer waren angereist aus München, Düsseldorf, Paderborn, Gotha, Mitterteich und Osnabrück und waren dabei, als sich die Kirche schon um 12,30 Uhr füllte, obwohl der Gottesdienst erst um 13,30 Uhr begann. So voll war die Kirche wohl seit Jahrzehnten nicht mehr gewesen!
Die Sitzplätze reichten nicht aus.


Chor der Schulkinder aus Olesnice / Gießhübel 1990

Ein Chor der Gießhübler Schule saß vor dem Marienaltar. Er sang in der Kirche "Freude schöner Götterfunke..." in Tschechisch. Die hintere Kirchentür war weit offen für den feierlichen Einzug über einen Teppich von hinten bis zum Altar. Die Kirche war festlich geschmückt. Aus Bayern waren zwei verzierte Kerzen mitgekommen. Beide ließ der Pfarrer brennen, eine am Altar bei der Messe "für alle vertriebenen Deutschen", wie er sagte und eine bei der Muttergottes. Mehrere Priester aus der Umgebung und bis aus Königgrätz und einige Nonnen waren gekommen, um die hl. Messe mitzufeiern. Der Pfarrer von Dobruska hielt die Predigt. Er hatte sie in Tschechisch vorbereitet und dann jemanden gebeten, sie zu übersetzen und auf Band zu sprechen. Davon hatte er sie sich dann eingeprägt und abschnittweise in Tschechisch und in Deutsch gehalten. Er sprach u.a. davon, daß die Menschen aus Gießhübel vor mehr als 40 Jahren in ein "fremdes Land" vertrieben wurden, so wie es in den liturgischen Texten von dem Land hieß, in das die Israeliten zogen. Sie wurden losgerissen von dem Taufstein, in dem sie das Leben bekamen und der in dieser Kirche steht. Eine Welt voller Haß war dazu fähig. Jetzt aber soll von diesem Altar, der die Mitte der Kirche ist, erneut Liebe ausgehen. Liebe, die uns in Christus verbindet und uns gemeinsam leben läßt. Bei der Kollekte floß der Klingelbeutel über von großen Kronenscheinen. Und das, wenn man weiß, wie viele Leute mit kleinen Renten in der Kirche waren!

Nach der Messe spielten Kinder und Jugendliche aus Hradek in einem sehr beeindruckenden Spiel in der Kirche die Heiligen und Seligen Böhmens und Mährens vor.

Der Bischof war gerade aus Rom zurückgekommen und überbrachte die Grüße des papstes, der wohl auch gesagt hatte: " - lebt weiterhin im Geiste des hl. Wenzel!" Der Bischof spricht fließend deutsch und gratulierte sofort den Deutschen zur wiedererlangten staatlichen Einheit.


Bischof Otcenasek

Auch der Bürgermeister und Mitglieder des Narodny Vybor (Nationalrat) waren zur Messe gekommen, und der Bürgermeister hatte den Bischof im Namen der politischen Gemeinde begrüßt – vor einem Jahr noch undenkbar!

Dann ging es ins neue Feuerwehrhaus zu einem großen Festmahl mit dem Bischof, dem Bürgermeister, den Deutschen aus Deutschland und den anderen. Das Tischgebet sprach der Bischof tschechisch und deutsch. Hier konnten die Besucher aus dem Westen persönlich Dank für die Einladung sagen; ein Brief der Gemeindebetreuerin war bereits vorausgegangen. Nun brachte Ilse Stonjek zum Ausdruck, daß sie gern gekommen waren aus dem "fremden Land" , von dem die Predigt gesprochen hatte und daß sie mit allen Gießhüblern – Deutschen und Tschechen – mitbauen möchten an einem neuen Europa – einem Europa der Liebe. Hier beim Gottesdienst waren spätestens Mauern und Trennungen gefallen, wenn es sie noch gegeben hatte. Tschechen und Deutsche hatten sich die Hand gegeben zum Friedensgruß und zur Versöhnung. Im gemeinsamen Gottesdienst war es möglich geworden. Ein neues Kapitel Gießhübler Geschichte ist aufgeschlagen worden. Alle, die da waren, spürten, daß nur noch gemeinsam etwas getan werden kann und daß die, die in Gießhübel geboren, getauft, gefirmt, getraut ... wurden, Gießhübler sind mit denen, die dort jetzt leben, eine Gemeinschaft bilden – wohl auch über die Kirche hinaus. Den Besuchern aus Deutschland wurde sehr deutlich bewußt, daß auch sie Verantwortung tragen für diesen Raum, aus dem sie kommen. Dieser 6. Oktober macht neue Perspektiven möglich. Auch in Gießhübel ist eine neue Gemeinsamkeit gewachsen durch gemeinsame Vorbereitung und gemeinsames Tun. Man hatte u.a. in fast allen Häusern für das Fest gesammelt – auch bei Nicht-Kirchgängern – und hatte 6000 Kronen zusammenbekommen (bei Renten unter 2000 Kronen und einem Durchschnittsverdienst von 2000 Kronen!). Bei allen Schwierigkeiten, die es noch gibt, ist doch ein neues Fundament gelegt, sicher auch besonders durch Pfarrer Jaroslav Mikesch.

Besonderer Dank muß der Klar Mariechen ausgesprochen werden, die es durch ihre Treue durch all die Jahre ermöglicht hat, daß so ein Fest in Gießhübel sein konnte, bei dem Gespräche möglich wurden, die Deutsche und Tschechen verbanden. U.a. tauchten Fragen nach dem Glauben auf, weil man wohl sehr das Vakuum erfährt, das die letzten Jahrzehnte geistig geschaffen und jetzt hinterlassen haben. Dort Lebende sprechen jetzt aus, daß sie nun erst sehen, wie wirtschaftlich und kulturell alles heruntergekommen ist und begreifen kaum, wie das möglich war. Der 6. Oktober war ein Beispiel dafür, wie Menschen wieder frei atmen können und dabei aufleben.

*) Der letzte Besuch eines Bischofs in Gießhübel war 1937 anläßlich einer Firmung.
 

Quelle: "Mei Heemt" Nr. 8 / 1990 S. 326 f und Nr. 1 / 1991 S. 26 f / T. F.