Dem Lehrer und Erzieher Sebastian Schindler zum Gedächtnis

von Franz Wondrejz
 

Sebastian Schindler

Zu den herausragenden Lehrerpersönlichkeiten, die lange Jahre hindurch an der Bürgerschule in Gießhübel tätig waren, zählte neben Direktor Wilhelm Hofmann und dem früheren Fachlehrer Rudolf Knoblich auch Sebastian Schindler.

Es war eine glückliche Fügung, dass diese drei begnadeten Lehrerpersönlichkeiten viele Jahre hindurch gleichzeitig an unserer Bürgerschule wirkten und als ein "pädagogisches Dreigestirn" am Schulhimmel unseres Heimatstädtchens leuchteten. Damit sei keineswegs die Leistung all der anderen Lehrkräfte herabgesetzt, die ebenfalls erfolg- und segensreich an unserer Schule einst unterrichteten. Ihre Tätigkeit war jedoch von kürzerer Dauer.

Sebastian Schindler war der letzte Direktor der Volks- und Bürgerschule Gießhübel. Er hatte dieses Amt nach dem Tode von Direktor Hofmann im Jahre 1943 übernommen. 1921 war er als Fachlehrer für Deutsch, Geschichte und Gesang nach Gießhübel gekommen und erteilte auch den Unterricht der tschechischen Sprache. Bei seinen Schülern galt er als strenger Lehrer, doch niemand versagte ihm die Achtung und das Vertrauen; denn jeder spürte sein ernsthaftes Bemühen, die Schüler zu lebenstüchtigen Menschen heranzubilden. Alle erkannten früher oder später, wie viel sie diesem Lehrer verdankten. Wie kein anderer verhalf er den jungen Menschen zu der Einsicht, dass es im Leben keinen Preis ohne Fleiß zu erringen gibt.

Er war ein ausgezeichneter Deutschlehrer. In seinen Sprachlehrestunden vermittelte er seinen Schülern eine gründliche Kenntnis vom Aufbau der Sprache. Das Erkennen der einzelnen Wortarten, deren Formen und Beugung musste man sicher beherrschen. Satzgliederungen und Bestimmung der Satzteile wurden fleißig geübt, die Merkmale von Satzverbindung und Satzgefüge heraus gearbeitet. Er machte uns Schüler mit dem Ausdrucksreichtum der deutschen Sprache vertraut und vermittelte einen Einblick in ihre Entwicklung und ihren Wandel. Sein Unterricht erschöpfte sich nicht allein darin, die Schüler mit den Gesetzmäßigkeiten und Regeln der deutschen Sprache vertraut zu machen. Ziel seiner Bemühungen war es, die sprachliche Ausdrucksfähigkeit der Schüler zu fördern.

Auf das Schreiben von Aufsätzen legte Fachlehrer Schindler besonderen Wert, wobei auf klare Gliederung, stilgerechte, anschauliche Wortwahl und fehlerfreie Rechtschreibung geachtet wurde. Er stellte uns auch die Werke und Meister der deutschen Dichtkunst vor und führte uns in die Literaturgeschichte ein. Von Walther von der Vogelweide bis Gerhard Hauptmann lernten wir die deutschen Dichter kennen. Es wurden Gedichte gelesen und auswendig gelernt, natürlich nicht ohne sie vorher ausführlich zu besprechen. Es wurde nach der Ansicht des Dichters gefragt, die Wirkung kunstvoll gebrauchter Worte herausgestellt, Lautmalerei hervorgehoben und das Versmaß untersucht. Im letzten Schuljahr lernten wir sogar Schillers "Lied von der Glocke" auswendig.

In seinem Unterricht machte er seine Schüler mit den Leistungen geschichtlicher Persönlichkeiten und geistiger Größe vertraut und stellt ihnen Leitbilder vor Augen, an denen sie sich aufrichten konnten, denn neben der Wissensvermittlung war sein unterschiedliches Bemühen ganz wesentlich auf die Erziehung der ihm anvertrauten Jugend gerichtet.

Erbaulich waren sein Gesangstunden. Er legte Wert auf das Erlernen der deutschen Volkslieder, die er auf seiner Geige vorspielte und mit der er den Gesang der Kinder begleitete. Ja, Fachlehrer Schindler hat es verstanden, die Liebe zum deutschen Volkstum in die Herzen der Schüler zu pflanzen.

Er wusste aber auch, dass es dem Fortkommen junger Menschen im damaligen Tschechenstaate von Nutzen und Vorteil war, Kenntnisse der tschechischen Sprache zu besitzen. In seinem Tschechisch-Unterricht vermittelte er seinen Schülern gediegene Grundkenntnisse dieser Sprache. In den Schreckenstagen des Jahres 1945 bewahrten die Tschechisch-Kenntnisse manchen vor noch härteren Drangsalierungen, denn die Peiniger mäßigten sich oft dann, wenn sie merkten, dass das Opfer ihre Sprache versteht.

In Gewissensnot mag unser Lehrer wohl gestanden haben, wenn er uns in Bürgerkunde die Entstehung des tschechoslowakischen Staates erklären, die Verfassung nahe bringen und die Hymne dieses Staates mit uns einüben musste. Doch wir sensibilisierten Grenzlandkinder wussten wohl zu unterscheiden, was des Lehrers unumgänglicher Auftrag und was sein eigener Wille war.

Fachlehrer Schindler betätigte sich auch außerhalb der Schule sehr aktiv und gestaltete das kulturelle Leben in unserem Ort mit. Seine musische Begabung fand ein Betätigungsfeld im Theater-Musikverein. Bei den anspruchsvollen Theateraufführungen war er in irgendeiner Weise stets mitbeteiligt. Die Fest- und Feiergestaltung aus verschiedenen Anlässen lag meistenteils in seinen Händen. Der Arbeit in den deutschen Schutzverbänden, vor allem im Kulturverband, widmete er Zeit und Kraft. Den Menschen seiner Heimat und dem heimatlichen Volkstum fühlte er sich eng verbunden. 1936 erschien von ihm der Gedichtband "Kroazbeern" mit Mundartgedichten des Tanndorfer Heimatdichters Hieronymus Brinke.

Nach dem Ableben von Direktor Hofmann fand die schulische und außerschulische Leistung von Fachlehrer Schindler mit der Berufung zum Leiter der Schule verdiente Anerkennung. Leider war ihm in dieser Stellung zu wirken nur die kurze Zeitspanne bis zum Kriegsende beschieden. Er, der sich stets taktvoll, verständigungsbereit und nie gehässig verhalten hatte, wurde gleich in den ersten Tagen nach Wiederaufrichtung der Tschechenherrschaft zusammen mit seiner Frau und seinen drei Kindern, nur mit Handgepäck versehen, über die Grenze nach Schlesien vertrieben. Von Hunger und seelischer Not verfolgt, schlug er sich mühevoll nach Celle in die britisch besetzte Zone durch. Seine angeschlagene Gesundheit hielt diesen Strapazen nicht stand. Am 30.1.1946 raffte der Tod den Menschen hinweg, der anderen soviel an geistigem Rüstzeug ins Leben mitgegeben hatte, das sie in der Not der folgenden Jahre als einziges Kapital zum Aufbau einer neuen Existenz einsetzen konnten. Ein leuchtender Stern war in der Dunkelheit versunken.....

Der Lehrer und Erzieher Sebastian Schindler wird seinen ehemaligen Schülern und Freunden unvergessen bleiben. Als Leitspruch über seinem Leben stand das Goethewort: "Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!" – Ehre seinem Andenken. 


Aus: "Trostbärnla" 1984, Seite 63 ff, geringfügig gekürzt von T.F.